Peter Nagel

Vom Realismus und dem Schweinequieken

Seit sich 1965 fünf Studenten der Hamburger Kunstakademie zur Künstlergruppe ZEBRA zusammenschlossen, sind fast 30 Jahre vergangen. Auch wenn sich die einzelnen Maler individuell weiterentwickelt haben und jeder seine besondere Thematik erarbeitet hat, verbinden uns nach wie vor sehr ähnliche Wertvorstellungen über Kunst. Es ist jedoch unübersehbar, daß diese eigentlich von Anbeginn in einer Gegenposition zur offiziellen Kunstmarktkunst standen. Am Anfang der sechziger Jahre war es das Aufbegehren gegen Willkür und Unverbindlichkeit der »action painting« und des »Tachismus«.

Als später unter dem Stichwort des „Erweiterten Kunstbegriffs“ das streng begrenzte Tafelbild mehr und mehr an Bedeutung verlor und offenere Formen wie »happening«, »performance«, »land-art« bis zur »Video-Installation« höhere Beachtung fanden, standen wir wieder in einer Außenseiterrolle. In dieser habe ich mich eingerichtet, obwohl die zwangsläufige Defensive, in der ich mich zuweilen sehe, nicht immer Freude bereitet. Was die Gruppe ZEBRA zusammenhält ist, daß wir das atemberaubende Tempo ständiger Innovationen nicht mitmachen wollen und nicht glauben an einen Fortschritt in der Kunst im Sinne von »besser«. Die auf ständige Erweiterung angelegten Bemühungen haben ihre Berechtigung, sofern damit kein Alleinvertretungsanspruch erhoben wird. Viele Kunsthistoriker sehen diese Entwicklung gern, da sie schon immer ein vorrangig phänomenologisches Interesse d.h. mehr an den unterschiedlichen Erscheinungsformen als an einem zeitübergreifenden Qualitätsbegriff gezeigt haben. Hier beschäftigt sich die Kunst mit sich selbst und ihrer Entwicklung und spekuliert auf die Nischen, die noch zu erfassen sind. Ein Abenteuer fürwahr – aber eben nur die eine Seite.

Es gibt immer noch Malerinnen und Maler, die an abbildhafter Verarbeitung unserer sichtbaren Wirklichkeit ein Urbedürfnis verspüren und dabei die kreative Lust voll ausleben. Der ehemalige Kieler Museumsdirektor J. C. Jensen schreibt 1993: »Die zeichnende und malende Hand, die auf die Fläche ihre Zeichen setzt, ihre Wunder entdeckt, bleibt für mich die unmittelbarste Technik der Bildkunst.« Vergleicht man meine Arbeiten von 1965 mit denen von 1993, so hat sich stilistisch nicht viel verändert. Nach wie vor arbeite ich mit den wesentlichen spannungsbildenden Gegensätzen: Volumen gegen Fläche, Statik gegen Bewegung, laute Farbigkeit gegen leise Tonalität, weiche Farbverläufe gegen scharfe Formtrennung. Die formale Umsetzung meiner Bildwelt ist bewußt konstant gehalten, weil sich diese Formensprache für mich bewährt hat. Es ist der Versuch, dadurch die Konzentration stärker auf die Inhaltlichkeit zu lenken. Es stehen also weniger die »reinen Mittel« als Träger der Botschaft im Mittelpunkt, sondern das drastische, auf den Punkt gebrachte Bildzeichen.

Im Erproben immer neuer Motive und Realitätsausschnitte liegt mein innovativer Anspruch. Und ich verlange von meiner Arbeit, daß sie sich in diesem Punkt ganz auf der Höhe der Zeit befindet und die Welt, in der wir leben, in repräsentativen »Symbolen« wiederspiegelt.

Wer sich nicht auf diese neuen Inhalte einläßt, dem mag dieser Realismus konservativ erscheinen, weil er in seiner Glätte z.B. an die »Neue Sachlichkeit« erinnert. Diese gegenständliche Malerei ist jedoch nach vorn gerichtet, weil sie die formalen Erkenntnisse der abstrakten Malerei bis hin zur op-art integriert und darauf aufbauend den optischen Phänomenen einer sich ständig ändernden Umwelt Gestalt zu geben versucht. Dieser Realismus ist auch Stellungnahme und Deutung von Wirklichkeit, weil er die Situation des Menschen in unserer Zeit und das Verhältnis der Menschen untereinander unter die Lupe nimmt und kommentiert. Apropos Realismus: Ich will Ihnen abschließend eine kleine Geschichte erzählen, die ein Malerkollege immer zum besten gibt, wenn es um den Unterschied der Begriffe »Realismus« und »Naturalismus« geht. Die Glanznummer eines Clowns war das Schweinequieken. Das konnte er, zum Staunen des Publikums, täuschend echt imitieren. Eines Tages war er so erkältet, daß er keinen Ton mehr rauskriegte. Da steckte sich der Artist ein echtes Ferkel unters Hemd, ging in die Manege, und das arme Schwein quiekte jedesmal kräftig, wenn er es drückte. Das Publikum aber war enttäuscht, wie schlecht der Clown diesmal das Quieken des Schweins nachahmte. Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen Realismus und Naturalismus.

aus: Katalog der Wanderausstellung »Ars Baltica«, 1993 / 1994